Brücken bauen, wo eigentlich kein Graben ist

Im Sommer 2014, während des Gaza-Kriegs zwischen der Hamas und den israelischen Streitkräften, geht ein gestelltes Foto als Friedensbotschaft durch die sozialen Netzwerke: zwei Jungen in kumpelhafter Umarmung, der eine mit jüdischer Kippa, der andere mit arabischer Kefiyeh. Das Bild ist rührend und gut gemeint, es ruft: „So einfach könnte es doch sein!“  und offenbart doch zugleich eine gefährliche Logik, die Friedensbewegte ebenso häufig reproduzieren wie FanatikerInnen.

Überall widersetzen sich NachbarInnen, KollegInnen, MitbürgerInnen dem „guten Ton“ der kollektiven Feindseligkeit.

Zu sehen waren nämlich gerade nicht ein israelischer Soldat und ein palästinensischer Kämpfer. Vielmehr klagt das Foto eine Front an, die wie selbstverständlich quer durch die Welt verlaufe. Hier die einen: Israel und damit natürlich alle JüdInnen. Dort die anderen: Die AraberInnen, oder doch nur die PalästinenserInnen? Jedenfalls irgendwie die MuslimInnen. Dazwischen ein Abgrund. Tatsächlich wehren sich aber weltweit Menschen gegen diesen absurden Gruppenzwang zum Hass und das Reproduzieren von Feindbildern. Überall widersetzen sich NachbarInnen, KollegInnen, MitbürgerInnen dem „guten Ton“ der kollektiven Feindseligkeit und hinterfragen: Warum soll ich fremde Menschen hassen, nur weil sich die Streithähne um das Heilige Land zanken? Einige Beispiele gelebter Geschwisterlichkeit stellen wir an dieser Stelle vor.

 

Das Wunder von Bradford

Bradford, das ist eine unspektakuläre Industriegroßstadt im verregneten Norden Englands. Der landesweit höchste Anteil an pakistanisch-stämmiger Bevölkerung hat der Stadt den Titel ‚Curry-Capital‘ eingebracht, Touristen kommen trotzdem nur wenige. 2013 jedoch wurde hier ein kleines Wunder gefeiert: Die Sanierung des maroden Dachs der letzten Synagoge des Ortes, Andachtsort für nur mehr knapp 40 Bradforder JüdInnen, überstieg die finanziellen Möglichkeiten der Gemeindemitglieder. Dank der persönlichen Bekanntschaft zwischen dem Gemeindevorsteher, Rudi Leavor, und einem lokalen islamischen Funktionär und Restaurantbetreiber, Zulfi Karim, kamen lokale Spenden zusammen, dank derer der Bau erhalten werden konnte. Die Beziehungen gehen heute so weit, dass – womöglich weltweit einmalig – ein Moslem im ständigen Gemeinderat der Synagoge sitzt. Kennengelernt hatten sich Leavor und Karim zuvor auf sehr weltlicher Bühne: Beim gemeinsamen Einsatz gegen ein Curryrestaurant in direkter Nachbarschaft zur Synagoge.

 

Wallah sind wir Mischpoke!

Geschätzt 300.000 muslimische sowie 30.000 jüdische BürgerInnen leben in Berlin. Beide Religionsgruppen leben in allen Teilen der Stadt, und Mitglieder beider Gruppen sind dort mitunter Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt. Viele konnten es dann auch nicht unwidersprochen lassen, als der Rabbiner Daniel Alter, der 2012 – übrigens ganz woanders – von mutmaßlich muslimischen Angreifern niedergeschlagen wurde, Berlin-Neukölln zur „No-Go-Area“ für JüdInnen erklärte. Mitten in diesem erstaunlich harmonischen Konfliktgebiet gründeten engagierte Berliner MuslimInnen und JüdInnen die Salaam-Schalom-Initiative. Der Zusammenschluss tritt seither bundesweit als Sprachrohr für den interreligiösen Dialog und gegen Hetze innerhalb der eigenen Communitys auf. Bei Schulbesuchen, öffentlichen Aktionen oder Podiumsdiskussionen wird die Logik der vermeintlich „natürlichen Feindschaft“ demontiert.

 

#NousSommesAmis

In Frankreich, europaweit jeweils mit Abstand das Land mit der größten muslimischen und jüdischen Bevölkerung, sind die projizierten Spannungen zwischen den religiösen Minderheiten traditionell groß. Antisemitismus und Islamophobie sind verbreitet, die gesellschaftliche Abschottung dementsprechend stark. Gerade hier tourt seit 2005 jährlich der bunte „Freundschaftsbus“ der ‘Jüdisch-Muslimischen Freundschaft in Frankreich (AJMF)’ durchs Land. Ein kleiner Kreis von AktivistInnen lädt dann zum Kennenlernen der anderen Religion ein, unter dem vieldeutigen Motto: „Wir ähneln uns mehr, als es scheint.“ Zahlreiche religiöse und säkulare Figuren der Communities haben bereits den „Bruderschafts-Pakt“ der AJMF unterschrieben. Über Fußballturniere, Filmvorführungen, gegenseitige Einladungen ins Gotteshaus oder auch nur öffentliches, gemeinsames Couscous-Essen sollen sich MuslimInnen und JüdInnen kennenlernen und Vorurteile abgebaut werden. Schließlich, so die AJMF, sei „ein guter gegrillter Hammel besser als jede lange Diskussion“.


Titelbild: Russell Gottschalk, 2012, “AJMF  Residence Guy Mendilow leads an artist workshop at Ahavath Achim Synagogue (11/1/12)”

 

 

Der Artikel erschien in unserer zweiten Ausgabe zum Thema Empathie. Diese kannst du hier in digitaler oder Papierform bestellen.

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