Es kann schon einmal passieren, dass man im sozialen Netz landet. Ein gesellschaftliches Tabu ist es aber immer noch, sagte einer, dass er eben genau dort absichtlich landen möchte. Um sich zum Beispiel mal für eine Weile vom auslaugenden Treiben der Arbeitswelt auszuruhen. Dieses Tabu wird durch die Sammlung an Portraits in Anne Waak’s Buch „Hartz IV und Wir“ aufgehoben.
Wie z.B. Künstler*innen oder Filmemacher*innen damit umgegangen sind, was sie dazu denken und wie sie vom Netz wieder abgesprungen sind, erzählen die auf Interviews basierenden Texte über Kreative in dem Buch, das 2014 als exklusiver ebook-Titel veröffentlicht und direkt über die Homepage der Autorin vertrieben wird.
„Die Rechnungen vom Amt zahlen lassen“
Darin erzählt zum Beispiel Patrick, der mal Teil eines erfolgreichen Indie-Labels war, wie er vom Gutverdienen zum Amt kam, sich von diesem jetzt die Rechnungen bezahlen lässt und währenddessen er von einem Leben als Saunameister oder als Manager eines Fußballvereins für Kinder träumt. Und die angehende Filmemacherin Lea beichtet, wie sie das System betrog, um von Deutschland aus abgesichert im Ausland halbwegs in Ruhe und frei von finanziellen Sorgen studieren zu können. Nebenbei bringt sie, so wie die zehn anderen Porträtierten, ihre eigene Meinung zum System und dessen Hintergründen ein.
Den meisten davon Bedrückten und in dem Buch Vorgestellten ist aber zu eigen, dass sie ihre Träume ziemlich genau kennen und zugleich genau wissen, was sie nicht wollen. Vieles des Erträumten ist dabei ökonomisch nicht unbedingt gut machbar. Und so verstehen die im Buch vorgestellten Leute das Sozialsystem u.a. als Möglichkeit, sich Zeit zu verschaffen, durchatmen zu können und den eigenen Zielen näher zu kommen.
Insgesamt vermittelt Anne Waak mit ihrer Sammlung an Biographie-Ausschnitten ein gutes Bild unserer Zeit: einer Zeit in der Verschränkung von Unsicherheit, Freiheit und Spiel. Wir können heutzutage viel machen, aber auch schnell vieles verlieren. Für wen ein Moment des Verlierens oder das ziemlich-weit-unten-sein dann überraschend ist, kann es etwas schwerer werden. Vielleicht hilft dieses Buch von Anne Waak in diesem Moment, wieder etwas Mut zu sammeln: Mut, um aufzustehen und entweder für Geld oder eine Veränderung des Ganzen etwas zu tun – vielleicht auch auf eine lockere oder kreative Weise.
Buch: Anne Waak – „Hartz IV und Wir“ (2014) http://bit.ly/tf-waak
Text: Marcel Post
Bild: Ryan Pouncy, CC0 unsplash.com