Drogen - Illustration von Lea Vervoort für transform

Sind Drogen der Luxus für alle?

Joints, Pillen und Schnaps: Gutes Leben auf Abruf? Oder vernebeln gerade sie den Weg zu einem wirklich besseren Leben? Philip und Christopher schreiben jeweils für FAZ und taz und sind unterschiedlicher Meinung dazu.

Contra: Luxus der Nüchternheit

Ich rauche nicht. Ich trinke nicht. Ich nehme keine Drogen. Das hat keine religiösen, gesundheitlichen oder sonstigen entschuldigenden Gründe. Im Gegenteil. Ich würde es sofort tun, wenn ich es wollte, aber ich will es einfach nicht. Es gibt meinerseits keinen guten Grund dafür. So weit, so unproblematisch. Wer allerdings Probleme damit hat, dass ich nicht rauche, trinke, Drogen nehme, sind Leute, die rauchen, trinken, Drogen nehmen. Sie fühlen sich von meiner Nüchternheit ertappt. Dabei werfe ich ihnen gar nichts vor. Es ist vielmehr so, dass sie, anstatt überzeugt und genussvoll zu tun, was sie tun, immer wieder mit verlegenen Nachfragen (Wieso? Weshalb? Warum?) ihre Scham darüber zu kaschieren versuchen, dass sie eigentlich nicht lassen können, was sie tun. Und das wiederum verachte ich. Wer ein Genussmittel nicht bloß genießen und es nicht aushalten kann, dass andere dies nicht tun, für den ist es kein Luxus mehr. Es ist längst zum Suchtmittel geworden.

Wer Drogen nimmt, löst keine Probleme. Wer sie verbietet, auch nicht. Das Gute Leben bereitet vielmehr gute Fragen vor, die sich nicht konsumieren lassen.

Ich sehe natürlich sehr wohl ein, dass es viele gute Gründe gibt, zur Flasche, Zigarette oder zu irgendwelchen Pillen und Pulvern zu greifen. Wenn aber ich den Feierabend ohne Bier nicht ertrage; wenn ich mich unter Leuten hinter Rauchschwaden verstecke; wenn ich mich andauernd leistungsfähig schniefe — dann gibt es gute Gründe, gute Fragen zu stellen: Was tue ich da eigentlich für einen Job? Mit wem bin ich da eigentlich zusammen? Und warum halte ich es mit mir selbst so schlecht aus? Diese guten — und, ja, auch schmerzhaften — Fragen lassen sich zwar vernebeln oder ertränken, aber sie bleiben damit ungelöst. Das Gute Leben beginnt mit guten Fragen.

Und gute Fragen lassen sich nicht konsumieren.

Doch wie geht das Gute Leben schließlich weiter? Wie lässt sich tatsächlich eine bessere Welt gestalten? Jene, die meinen, das Gute Leben im grellen Rausch zu finden, desillusioniert früher oder später der graue Alltag. Denn Drogen sind, was das Gute Leben betrifft, alles andere als nachhaltig. Das einzig Nachhaltige an ihnen ist die Sucht. Was auch immer ich auf Drogen alles kann (lustiger quatschen, launiger tanzen, hemmungsloser vögeln), was auch immer ich mir auf Drogen alles ausmale (das Neue Jerusalem, die Überwindung des Kapitalismus, die Alleinheit aller), es ist alles nichts als Schall und Rauch. Es ist nicht revolutionär, sondern — buchstäblich — reaktionär. Ich lasse mich gehen, anstatt loszulegen. Ich gebe mich auf, anstatt aufzustehen. Dabei ist das Gute Leben gerade nicht auf den Kick, sondern auf mich selbst und meine Fähigkeiten angewiesen. Nur wenn ich es bin, der etwas will und kann, kann es wirklich gelingen.

Wer sich inzwischen fragt, ob ich nicht vielleicht zu wenig Spaß habe, und wer meint, dass mir ein ordentlicher Vollsuff wohl mal ganz guttun würde, den muss ich leider enttäuschen. Denn für den Flow bei der Arbeit, für die Ekstase auf der Tanzfläche, für die Lust im Bett muss ich nicht draufzahlen. Das geht auch so ganz gut. Und was noch besser ist: Ich bin immer voll dabei, gerade weil ich nüchtern bin. Dass das anderen ebenfalls zusagt, zeigen die »Sober Raves«, die es in den Partykapitalen dieser Tage drogenfrei krachen lassen.

Und was hat das alles mit Luxus zu tun? Nun ja, wer meint, dass es erstrebenswerter Luxus sei, Kohle zu scheffeln und Koks zu schniefen, dem wünsche ich viel Glück. Ich meinerseits bevorzuge den Luxus der Nüchternheit. Er kostet kein Vermögen, sondern Stehvermögen. Ich muss das Sein aushalten, dann erst kann das Bewusstsein es ergreifen und verwandeln. Dafür sind drogeninduzierter Nihilismus oder Utopismus hinderlich. Jammerei und Schwärmerei führen nicht weiter. Und deshalb verstehe ich auch, dass die Band »Minor Threat« 1981 in die Welt schrie: »I don’t smoke. I don’t drink. I don’t fuck. At least I can fucking think!«


Drogen - Illustration von Lea Vervoort für transform
Drogen – Illustration von Lea Vervoort für transform

Pro: Luxus der drogeninduzierten Freiräume

Die Manifestation des Kapitalismus in unseren Leben ist die Traurigkeit« singt die Band Ja, Panik. Und sie hat recht. Der Kapitalismus ist nicht nur ein auf Ausbeutung beruhendes Wirtschaftssystem (was schlimm genug wäre), sondern auch ein Gesellschaftssystem, das auf unsere Emotionen und unseren Alltag übergreift. Wie wir mit dieser Traurigkeit umgehen, ist dabei ganz unterschiedlich. Die einen analysieren die Situation, die anderen kämpfen dagegen an, die Klügsten machen beides zusammen. Wieder andere resignieren, passen sich an oder versuchen, im Bestehenden Freiräume zu erkämpfen. Sei es das Hausprojekt oder, ja: auch Drogen.

Der Luxus des Drogenkonsums besteht im (kurzfristigen) Ausbrechen aus den Verhältnissen. Seien sie noch so fragil, vorübergehend und auf Sand gebaut, aber die Welten, die in guter Gesellschaft unter dem Einfluss von Drogen entstehen, können einen Vorgeschmack darauf bieten, wie das Gute Leben sein könnte: leicht, euphorisch und sorgend um andere, Möglichkeiten und Erfahrungen ausschöpfend. Das nicht Denkbare wird denkbar und es wird Raum geschaffen für Utopien im Wortsinne: dem Nicht-Ort.

Drogen ermöglichen einen kurzen Ausbruch aus der Realität und machen das gute Leben am Horizont sichtbar. Um dem näher zu kommen, kann die nächste Pille zwar helfen, reichen wird sie aber nicht.

Ist Drogenkonsum nun ein widerständiger Akt? Wer auf MDMA kuschelt oder nach der dritten Ecstasy-Pille am Montag Mittag immer noch weiter tanzen will, wird sich wenig Gedanken über die Traurigkeit im Kapitalismus oder gar seine Aufhebung machen, schon klar. Und doch entstehen in diesen Momenten des Rausches, der neuen und unerwarteten Erfahrungen und Begegnungen, Räume, die uns helfen können, die bestehende Gesellschaft zu hinterfragen und vielleicht sogar abzuschaffen.

Im Kapitalismus geht es darum, seine Arbeitskraft zu Markte zu tragen und sie zu verkaufen. Tag für Tag wird geschuftet und den Profit streichen andere ein — bitter. Täglich sollen wir frisch am Arbeitsplatz, in der Schule oder der Universität auftauchen und unser Bestes geben, ob wir nun wollen oder nicht — auch bitter. Alles, was diesen Ablauf behindert, ist laut herrschender Meinung schlecht. Wer mit Kater im Büro aufschlägt oder bekifft in der Vorlesung sitzt, handelt gegen diese kapitalistischen Normen. Man schadet durch Drogenkonsum seinem »Humankapital« und ruiniert »seinen Preis« auf dem Markt.

Konsum kann ein subversiver Akt sein, durch den die Loyalität gegenüber der bürgerlichen Ordnung hinterfragt und im besten Fall aufgeweicht wird. Für einen kurzen Moment des Rausches geben wir unser Streben auf, sondern sind einfach nur da. Im Moment. In »Kapitulation (Manifest)« singt Dirk von Lowtzow: »Wenn wir am Boden sind, werden wir einfach liegen bleiben. Das wird unserer größter Trost sein. (…) Wir werden im Besitz der magischen Formel sein: Fuck. It. All.« Das ist unter gegenwärtigen Bedingungen der größte Luxus. Fuck it all. Nicht mehr im Hamsterrad mitlaufen, sich verweigern — und sei es nur für wenige Stunden.

Und doch wird dieser Luxus nicht reichen, um dauerhaft einen gute, andere Welt zu bauen. Wer Drogen nimmt und sich dabei nicht genügt, sondern auch weiter analysiert und tätig ist, hat es verstanden. Damit wird der Nicht-Ort des Drogenkonsums zu einem Noch-Nicht-Ort des Guten Lebens und der Fokus auf Handlungsfähigkeit hergestellt. Der Luxus der drogeninduzierten Freiräume darf kein Rückzug auf sich selbst sein, sondern muss dafür genutzt werden, umso unerbittlicher das Falsche in der falschen Gesellschaft zu sehen und gegen sie vorzugehen. Es gilt, eine Welt zu bauen, in der Freiräume im alltäglichen Leben vorhanden sind und nicht erst durch Drogen geschaffen werden müssen. Aber wer sie dann immer noch nehmen will, soll dies tun: Und der Kater wird auch nicht mehr so schlimm sein, wenn man nicht mehr immer Montags um 9:00 Uhr auf der Arbeit sein muss.


Illustration: Lea Vervoort ist eine Grafikdesignerin aus Rotterdam

Autoren: Philip Kovce, Christopher Wimmer


transform 5 LUXUS

Dieser Beitrag stammt aus unserer neuesten Ausgabe zum Thema „Luxus“! Und die kannst du dir hier bestellen. Damit unterstützt du unsere Arbeit.

Newsletter