Eva ist Abgeordnete der Grünen im bayrischen Landtag. Wir sprechen über die Rollenklischees mit denen sie bei ihrer Arbeit konfrontiert ist, wie sie dagegen arbeitet und warum dies so wichtig ist.
Wer bist du und was machst du so?
Ich bin Eva, Eva Lettenbauer, bin 28 Jahre alt, Landtagsabgeordnete und studierte Wirtschaftsingenieurin.
Bist du in deiner Arbeit mit Geschlechterrollen und -bildern konfrontiert?
Ja, tatsächlich. Eine junge Frau in der Politik ist scheinbar für viele schwer vorstellbar. Es fühlt sich oft an wie ein Ankämpfen gegen Rollenzuschreibungen. Immer wieder muss man beweisen, dass man eine kompetente Meinung haben kann. Auch als junge Frau.
Viele Leute sind überrascht, dass die junge Frau auf der Veranstaltung die Politikerin ist. Aber genau deswegen ist es krass wichtig, weiterzumachen und ein Vorbild zu sein. Der Gedanke, dass eine Frau mit 28 sich vor allem um Familiengründung oder einen sozialen Beruf kümmern sollte, ist noch immer tief verankert und betrifft mich immer wieder.
Empowerment gegen Rollenzuschreibungen
Haben diese Erwartungen einen Einfluss darauf, wie weiblich gelesene Personen sich verhalten, ihren Körper und ihre Stimme einsetzen?
In manchen Fällen schon. Ich bin einerseits der festen Überzeugung, dass kein Mensch, der Politik macht, sich verstellen sollte. Ich bin Verfechterin einer menschlichen Politik –möchte, dass alle PolitikerInnen die Menschen sein können, die sie sind. Dazu zählt im Zweifel auch, eine ruhigere Art zu haben. Es darf nicht nur die eine richtige Art des Auftretens geben. Kollegial, lösungssuchend und vermittelnd aufzutreten, muss genauso legitim sein wie der konfrontative, einfordernde Stil, der in der Politik manchmal als optimal dargestellt wird. Frauen braucht es in der Politik auch deshalb, um eine Vielfalt im Auftreten zu etablieren.
Kollegial, lösungssuchend und vermittelnd aufzutreten, muss genauso legitim sein wie der konfrontative, einfordernde Stil, der in der Politik manchmal als optimal dargestellt wird.
Eva Lettenbauer
Andererseits bemerke ich auch, dass manche Frauen nie bewusst entschieden haben, wie sie auftreten möchten. Dass sie sich automatisch zurückhalten, weil es ihnen so anerzogen wurde. Da ist es super wichtig, zu empowern. Diejenigen zu stärken, die von der Gesellschaft signalisiert bekommen, dass ihre Meinung nicht wichtig sei. Denen die Möglichkeit und Stärke zu geben, um das, was sie erreichen wollen auch anzusprechen und einzufordern.
Hier müssen sich Frauen auch stärker gegenseitig unterstützen. Mir ist es in Diskussionen und Sitzungen schon so oft passiert, dass eine Frau eine Idee äußert, ein Mann dann das Gleiche sagt und das Ganze am Ende als die Idee des Mannes wahrgenommen, dargestellt und erinnert wird.
Du sagst also, feminin konnotiertes, lösungsorientiertes Verhalten sei gut und wichtig. Es sollte aber aus einer Beschäftigung mit dem eigenen Verhalten und aus einer bewussten Entscheidung folgen. Wann hast du gemerkt, welche Aspekte deines Verhaltens dir wichtig sind und welche dir eher im Weg stehen?
Mir haben da zahlreiche Podiumsdiskussionen und BürgerInnengespräche geholfen in den letzten Jahren. Wenn hinterher Leute zu mir kamen und mich für meine konkreten inhaltlichen Vorschläge oder meine Sachlichkeit gelobt haben, dann war das sehr wertvolles Feedback für mich. Selbstbewusstsein, Deutlichkeit und eine klare Haltung sind mir sehr wichtig – Politik muss aber nicht Skrupellosigkeit bedeuten. Das möchte ich zeigen.
Raum einnehmen
Was bedeutet Raum einnehmen für dich und wie nimmst du dir deinen Raum in der politischen Arbeit?
Die eigene Meinung online teilen zu können, ist eine große Chance und Möglichkeit, die wir nutzen sollten. Auch wenn ich bei Podiumsdiskussionen das Gefühl habe, zu wenig gehört zu werden, spreche ich das aktiv an: “Ich habe den Eindruck, dass hier bisher vor allem XY gehört wurde, jetzt muss noch meine Meinung – oder die Meinung einer anderen Frau – zur Sprache kommen.” Aktive, gegenseitige Unterstützung ist ein ganz wichtiges Thema: sich zu melden, Redebeiträge einzubringen und andere Frauen zu unterstützen, wenn sie unterbrochen werden.
“Ich habe den Eindruck, dass hier bisher vor allem XY gehört wurde, jetzt muss noch meine Meinung – oder die Meinung einer anderen Frau – zur Sprache kommen.”
Eva Lettenbauer
Raum einzunehmen bedeutet für dich also vor allem, deine Meinung zu sagen und sicher zu gehen, dass diese auch gehört wird?
Da ich in einem politischen Kontext unterwegs bin, ja.
Was ist das Gegenteil von Raum einnehmen für dich?
Ich würde sagen das Gegenteil ist “passiv zusehen”. In der heutigen Zeit sollten wir das nicht mehr mit uns machen lassen. Niemand in dieser Gesellschaft muss sich verstecken, jede Meinung ist wichtig. Als Frauen machen wir die Hälfte der Bevölkerung aus – umso wichtiger, dass unsere Meinungen gehört werden.
Politik machen bedeutet ja auch, klar Missstände zu benennen, andere Meinungen zu konfrontieren, Forderungen zu stellen. Fällt das weiblich sozialisierten Personen schwer? Hast du dich am Anfang deiner Karriere damit schwerer getan?
Ich würde zwischen meinen Erfahrungen innerhalb der Partei und in der breiten Öffentlichkeit unterscheiden. Als ich mich nach den Fukushima-Protesten 2011 entschieden hatte, politisch aktiv werden zu wollen, habe ich bei den Grünen wirklich den Ort gefunden, an dem ich mich gerne engagiere. Den Ort, wo all das, was du beschreibst, ziemlich viel Spaß macht.
In der Öffentlichkeit aber, sind mir ziemlich oft Unverständnis und Zweifel begegnet. Generell will ich Rückmeldungen bezüglich meiner Arbeit ernst nehmen. Mit einer zunehmenden Anzahl an Hassnachrichten wird es aber schwierig, sich das anzuschauen. Dennoch: Ich habe für mich festgelegt, dass es als junge Frau wichtig und richtig ist, sich in der Politik zu engagieren.
Hat sich dein Verhalten seit dieser Entscheidung verändert?
Ich denke schon. Die Haltung, dass ich etwas aus Erfüllung und Leidenschaft tue, sowie dass ich dazu demokratisch legitimiert bin, Politik für junge Menschen zu machen, haben mich durchaus stärker und selbstbewusster gemacht.
Wie hast du das geübt?
Mir fällt da das Schlagwort “weitermachen” ein. Auch wenn man negative Rückmeldungen und Unverständnis erntet, muss man weitermachen. Bei Podiumsdiskussionen hat mir learning-by-doing geholfen. Immer wieder aufs Neue an der Debatte teilzunehmen, einfach zuzusagen und das nächste mal dann eben besser zu sein.
Natürlich ist das manchmal sehr anstrengend. Aber nur wenn wenn PolitikerInnen vielfältiger werden, wird sich das politische Klima verbessern. Das Ausmaß, in dem Politikerinnen heute auf Aussehen und Geschlecht reduziert werden, wird nur weniger werden, wenn PolitikerInnen jünger, weiblicher, migrantischer usw. werden. Ich hoffe, dass wir dann irgendwann weniger über Klamotten und das Alter der Podiums-Sprecherinnen und mehr über ihre Ideen sprechen können. Der Gedanke hat mich oft angespornt, weiter zu machen und den Leuten Kontra zu geben.
Ich hoffe, dass wir dann irgendwann weniger über Klamotten und das Alter der Podiums-Sprecherinnen und mehr über ihre Ideen sprechen können.
Eva Lettenbauer
Die Macht der Repräsentation
Mir wurde mal gesagt, dass es schwer sei, Frauen für Podiumsdiskussionen zu finden, weil viele sich das nicht zutrauen würden.
Ich höre öfter die Begründung, es habe eben keine qualifizierte Frau gegeben. Vielleicht gab es keine IT-Spezialistin in deinem unterfränkischen Dorf. Hättest du aber etwas weiter gesucht, hättest du eine gefunden. Spätestens in Nürnberg oder München. Wir haben in diesem Land mehr als 40 Millionen Frauen und da sind so viele kompetente Personen dabei.
Den Gedanken, dass du dir die Diskussion nicht zutraust hattest du aber nie?
Ich war sicher aufgeregt und hatte sicher auch viele Fragen. Aber am Ende hat die Lust, meine Meinung beizutragen, immer überwogen. Wenn es gar nicht gepasst hat oder ich terminlich nicht konnte, habe ich andere kompetente Diskutantinnen empfohlen. Das mit den Podiumsdiskussionen ist ein Teufelskreis: Dadurch, dass es wenige Frauen sind, die in der Politik vorne stehen und in den Parlamenten sitzen, hält sich das Klischee vom Mann im Gemeinde- und der Frau im Elternbeirat. Die Überzeugung, dass es Einzelne braucht um diese Vorurteile zu durchbrechen, vertrete ich schon lange.
Was hat dir bei den Grünen geholfen, deine politischen Ambitionen und persönlichen Ziele umzusetzen?
Es macht viel aus wie die Teams zusammengesetzt sind. Und innerhalb der Grünen ist es total selbstverständlich, dass junge und ältere Leute zusammenarbeiten. Dass Frauen die Hälfte der Redebeiträge und Vorstandsposten inne haben. Da ist man nicht so ein auffallendes Individuum wenn man sich als junge Frau politisch engagiert.
Hat deine Arbeit als Politikerin die Art verändert, wie du deine Ziele verfolgst und erreichst?
Man wächst mit Erfahrungen und traut sich dann auch an größere Projekte ran. Anfangs war ich zum Beispiel noch mehr darauf bedacht, mich und mein politisches Handeln zu verbessern. Jetzt bin ich stärker in der Lage, andere zu unterstützen und mehr Verantwortung zu übernehmen.
Warum ist es nice, sich vor einen Haufen alter Männer zu stellen und zu sagen was Sache ist?
Weil es das gute Recht jeder Person ist, ihre Meinung zu sagen und mitzubestimmen. Und weil die Frauen unserer Gesellschaft es verdient haben, dass man sich für sie und ihre Interessen einsetzt. Der Hälfte der Bevölkerung die Hälfte der Macht!
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Autorin: Chiara Marquart-Tabel
Illustration: Isabella Marquart
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