Große und kleine Weltverbesserer bekriegen sich. Sehr gut!

Ein ganz persönliches Sinnieren unseres Redakteurs über die Welt der Aktivisten und Idealisten. Und welche Rolle ein Journalist dabei spielen kann.

Je mehr das transform-Magazin Form annimmt, für das ich schreibe, desto öfter betone ich gegenüber nachfragenden Freunden, dass es sich dabei nicht um das nächste Heft handelt, das ausschließlich Holzpaletten-Möbel und bepflanzte Schuhe vorstellt. Solche symbolträchtigen und in die Mode gekommenen Bastelaktionen sind nämlich eine schöne Sache, aber weder ausreichend noch wahnsinnig neu.

Viele kritisieren daher die Freunde der kleinen Taten, die mit ein wenig DIY und Marmelade einkochen die Welt retten wollen. Ich schreibe sehr gerne auch für das Onlinemagazin “für Pop und Geist” Doktor Peng, dort taucht diese Diskussion immer wieder auf. An einem Tag erscheint ein Artikel in welchem die Autorin die kleinen, “weltrettenden” Aktionen wie stricken, gärtnern und Lebensmittel retten preist, am nächsten Tag wird diese Art von “Welt retten” verrissen. Zu lesen war zum Beispiel:

“Vegan, vegetarisch, freegan, Konsumverweigerung… alles schön und gut, funktioniert aber alles wunderbar, ohne auch nur an der Oberfläche der gesellschaftlichen Missstände zu kratzen. Aus der Mülltonne leben funktioniert auch nur so lange, wie im Überschuss produziert wird. Das Schöne an dieser “Rebellion” ist doch, dass sie sich wunderbar mit den bestehenden Verhältnissen verträgt. Vegan, vegetarisch, containern, Wohnzimmerkonzerte – wen juckt das, außer der eigenen kleinen kreativen Peergroup, die sowieso schon irgendwie überzeugt ist. Klar, Veränderung muss in den eigenen vier Wänden anfangen, wenn sie aber dort aufhört verändert sie nichts, außer das eigene Gewissen zu befriedigen.”

Ein anderer Doktor Peng-Autor fragt hingegen nach der unterbewussten Motivation, den Aktionismus klein und fein zu halten. “Wird die Rebellion in die Privatsphäre verbannt, weil der Rebell sich die Unbeflecktheit seiner Rebellion erhalten will und dies zwangsläufigin der Öffentlichkeit unmöglich ist?” Vor einigen Wochen schrieb er einen Artikel über die Lächerlichkeit der heutigen Alternativbewegung, die  alles Mögliche als Pflanzentopf benutzt und die politischen Ambitionen auf das städtische Urban-Gardening-Feld begrenzt. Darin sehen nicht wenige eine Parallele zur bürgerlichen (Selbst-)Begrenzung. Es wird nicht bis zur Dorfkirche gedacht, sondern bis zum Urban-Gardening-Feld.

Ich kann diesen Widerwillen gegenüber der neu aufgekommenen DIY-, Pflanz- und Häkelbewegung verstehen. Die letzten 2 Jahre half ich ein Seminar zu nachhaltigen Lebensstilen und Postwachstum zu organisieren. Aus dem besagten Seminar und den Treffen sollten wiederum weitere Projekte entstehen. Das ist nicht passiert. Stattdessen gab es hier und da ein paar gerettete Äpfel, selbstgenähte Klamotten und man traf sich auf der Degrowth-Konferenz (aka Postwachstumskonferenz) in Leipzig und trank sozial-ökologisch gebrautes Bier. Vor allem aber wurde viel geredet.

Alles in allem gibt es natürlich Schlimmeres. Die Bewegung tut niemanden weh, was der Kommentar ja treffend kritisierte. Niemand wollte Kraftwerke besetzen oder Genfelder plätten. Radikal war nur der gepredigte Konsum- und Lohnarbeitsverzicht. Da trifft es sich gut, wenn Studienstiftungen und die Mittelschichtseltern im Hintergrund stehen.

Ich war frustriert: Ein Haufen Arbeit und viele gut ausgebildete Menschen, die zur Konferenz kommen und Projekte aufbauen wollen, erzählen im Nachhinein, dass sie Marmelade einkochen und gerne kuscheln. Wahnsinn.

 

Kleine, heile DIY-Welt vs. “das große Ganze”?

Natürlich bin ich nicht der Einzige, der diese gemütlich-grüne Bewegung kritisiert. Da gibt es zum einen die links-sozialisierten Menschen, zu denen ich der kommentierende Person zähle, die zu Recht sagen: Den Spaß könnt ihr nur machen, weil ihr privilegiert seid. Da ist was dran. Aus „gutem Hause“ und an der Uni: Da kann man sich Vieles gönnen. Die Altlinken erinnern dann gern an die verpasste Weltrevolution und dass es Unsinn sei, an Symptomen herumzudoktern.

Zum anderen gibt es grünpolitisch Affine, die an „the bigger picture“, das große Ganze, erinnern. Damit meinen sie dann aber nicht die Weltrevolution, sondern eher handfeste Umweltpolitik – gern auf Bundes- oder EU-Ebene. Eben etwas Größeres als ein bepflanzter Topf oder ein “veganer Aufstrich”-Zirkel.

Die entschleunigten, hippiesken Topfbepflanzer werfen beiden Gegnern wiederum vor, dass sie Wasser predigen und Wein trinken. Aus ihrer Sicht bringt es nichts, an der Weltrevolution herumzukonspirieren oder Gesetzesvorlagen zu entwerfen, ohne selber das eigene Leben zu ändern. Auch da ist etwas dran. Klar: Tomaten auf dem Balkon sind kein Beitrag zur Ernährungssicherheit, doch nicht eingehaltene, freiwillige Selbstbeschränkungspapiere von Seiten der Wirtschaft sind es ebenfalls nicht. Zwar bleibt viel Gemüse der urbanen Hobbygärtner ohne Früchte, doch die Papiere von Politikern, Lobbyisten und Wissenschaftlern bleiben oft ebenso fruchtlos in einer Schreibtischschublade oder auf einer veralteten Homepage. Auch bei gelungenen Projekten mag ein Think Tank oder ein einflussreiches Lobbybüro in Erklärungsnot kommen, wenn es im Büro keine Mülltrennung gibt.

 

Papiertiger bekämpfen, Stadtgärtner belächeln: zwei Seiten der gleichen Medaille? 

Auch ließe sich den Freunden des “großen Ganzen” sagen, dass es von der Perspektive abhängt, ob etwas “groß” oder “klein” ist. Sich in der Regionalpolitik für Umweltbelange einzusetzen, ist “größer” als eine Tomate auf dem Balkon, aber kleiner als Bundes- oder EU-Politik. Angekommen in Brüssel, stellt sich die Frage, ob in UN-Institutionen nicht doch “mehr” zu erreichen ist.

Nach etwas klassischem Aktivismus und ein paar Erfahrungen in „größeren Institutionen“ muss ich nun sagen: Ich bin dankbar für beide Seiten. Aber das ist kein Moment von Friede, Freude, Eierkuchen – im Gegenteil. Noch dankbarer bin ich, dass sich beide Seiten kritisch beäugen und regelmäßig auf die Finger hauen!

Bitte liebe Lobbyisten, Policy-Makers, Umweltingenieure  und Wissenschaftler, macht euch weiter über kleinteilig denkende Stadtgärtner lustig. Und bitte, liebe lokal verwurzelte Aktivisten: Kritisiert weiterhin die verkopften Bürokraten und ihre Papiertiger! Es braucht beide Perspektiven und keine Seite darf sich moralisch überlegen fühlen. Und natürlich kommen auch beide Perspektiven in das transform-Magazin!

 

Nachtrag: Dieser Artikel ist auf Umweltaktivismus und Umweltpolitik angewandt, aber natürlich ließe sich diese Dichotomie ebenfalls in anderen Bereichen aufbauen (Soliaktionen für Geflüchtete vs. für den UNHRC arbeiten etc.).

Schreibt uns gern Kommentare, auf Facebook, Twitter oder per Flaschenpost.

 

Der Artikel erschien zunächst auf doktorpeng.de.

photo credit: fihu via photopin cc

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