Loud and Proud

Manchen Körperteilen eilt ein schlechter Ruf voraus. Warum eigentlich? Statt die unliebsamen Begleiter zu verstecken, sollten wir sie mit Stolz tragen. Eine Ode auf völlig unterschätzte Teile unseres Körpers.

Die Winkearme

Eine romantische Szene am Bahnhof. Zwei Liebende verabschieden sich. Der Zug fährt ab und mit aufwallendem Herzschmerz winken sich die beiden voller Leidenschaft zu. Doch ach, die Leidenschaft wird jäh unterbrochen, und die Liebenden reißen erschrocken ihre Arme nach unten, als sie die schlaffen Hautlappen bemerken, die, flop flop flop, beim Winken schwabbelnd vor und zurück schwingen. Der Winkearm ist Ursache zahlreicher Komplexe und Star aller Frauenzeitschriften. Um ihn loszuwerden werden jährlich tausende Fitnessstudio-Mitgliedschaften abgeschlossen und so mancher OP-Saal gebucht. Dabei sollten wir unsere Extremitäten weniger nach ihrem Aussehen bewerten und mehr nach ihrer Zweckmäßigkeit: Im Zweikampf wird der nutzlose Winkearm zum effektiven Würgearm, wenn du deinen Gegner in den Schwitzkasten nimmst. Im Schlafzimmer wird er zum kuscheligen Schmusearm, wenn deine Liebsten ihn als wolkigen Kissenersatz nutzen. Und auf der Hausparty wird er zum Entertainarm, wenn du deine gelangweilten Gäste zum Lachen bringen willst. Sag also nicht bye-bye zu deinen Allroundarmen, begrüße sie mit einem enthusiastischen Winken.

Die Füße

Dass unsere Füße weniger unter den allgemeinen Schönheitsnormen leiden als andere Körperteile, hängt sicher damit zusammen, dass sie ohnehin die meiste Zeit gut verpackt in dicken Socken vor sich hin müffeln. Wer Füße erotisch findet, gilt grundsätzlich als perverser Fetischist. Manche gehen deshalb gleich auf Nummer sicher und lassen auch dann die Socken an, wenn alle anderen Hüllen schon gefallen sind.

Füße müssen also nicht mal gegen eine bestimmte Norm verstoßen – mit krummen oder haarigen Zehen, zu groß, zu breit, zu platt – sie sind als Körperteil von vornherein geächtet. Egal, wie sehr sie sich anstrengen. Dabei sind unsere Füße wohl unsere treuesten und duldsamsten Begleiter. Sie tragen uns buchstäblich durchs Leben und ertragen unsere absurde Lust, sie in Gegenstände zu stecken, die ihre eigentliche Funktion völlig untergraben und ihren Job unnötig erschweren.

Füße sind sogar geeignet, den Job anderer Körperteile zu übernehmen: Die iranische Künstlerin Fatemeh Hammami Nasrabadi kann wegen einer Lähmung ihre Hände nicht benutzen und hält Stifte und Pinsel deshalb zwischen den Zehen. Wenn es einen Körperteil gibt, der es verdient, auf Augenhöhe gesehen zu werden, dann ja wohl unsere Füße. Und zwar ohne Socken!

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Dieser Text ist Teil unserer siebten Ausgabe. In der geht es um Körper in all seinen Formen und Farben, das Recht auf Selbstbestimmung, den Körper als Waffe und warum spritzende Vulven eine politische Dimension haben.

Der Riesenzinken

Nasenverkleinerungen gehören zu den beliebtesten Schönheitsoperationen. Ein überdimensioniertes Riechorgan scheint für viele der Super-GAU zu sein. Anders als der Hängebauch oder die Plattfüße lässt sich ein gigantischer Kolben mitten im Gesicht allerdings schlecht verstecken oder kaschieren.

Ein Grund mehr, deinem Riesenzinken endlich die Bühne zu bieten, die er sich verdient hat. Er ist der Star in deinem Gesicht. Selbst wenn du manchmal buchstäblich in seinem Schatten stehst, kann er auch dich zum Strahlen bringen. Das beweist eine ganze Reihe von Riesenzinken, die es bis nach Hollywood geschafft haben: Barbra Streisand, Adrien Brody, Sarah Jessica Parker, Liam Neeson – die Liste ist so lang wie deine Nase! Es gibt also keinen Grund, sie nicht mit Stolz zu tragen. Und von der vermuteten Größenkorrelation von Nase und anderen Körperteilen wollen wir gar nicht erst anfangen.

Die Monobraue

Der Mensch hat zwei Hände, zwei Beine, zwei Augen, zwei Ohren – und das mit gutem Grund. Die doppelte Ausführung von Augen und Ohren gibt uns die Fähigkeit, räumlich zu sehen und zu hören. Mit zwei Händen lässt sich leichter ein Glas Marmelade öffnen. Und auf einem Bein hopst es sich durchaus beschwerlicher durch die Welt.

Aber wofür brauchen wir eigentlich zwei Augenbrauen? Die Monobraue wird an den meisten Orten dieser Welt mit pedantischer Ausdauer bekämpft. Woche für Woche wird jedes einzelne Haar unter Schmerzen herausgerissen, nur um eine normkonforme Stereobraue herzustellen.

Dabei hat die Künstlerin Frida Kahlo schon vor Jahrzehnten bewiesen, dass die Monobraue zum ikonischen Accessoire taugt wie kaum ein anderer Körperteil. Ein dicker schwarzer Balken mitten im Gesicht ist ein Statement, an dem keiner so leicht vorbeikommt. Entdecke deine extrovertierte Seite und werde zur nächsten Mono-Ikone!

Der Hängebauch

Echte Frauen haben Kurven, hieß es mal in einer eher missglückten Werbekampagne. Gemeint waren mit Kurven natürlich ausschließlich Hintern und Brüste, unter keinen Umständen aber der dazwischen hängende Schwabbelbauch. Den gilt es unter allen Umständen zu verstecken. Ein typischer Anfängerfehler!

Ältliche Herren in weißen Feinripp-Shirts machen seit Jahrzehnten vor, wie es richtig geht: Leicht nach hinten gebeugt liegen beide Hände auf dem Hängebauch, auch liebevoll Plauze genannt, und streicheln zufrieden über das mühsam erarbeitete Prachtexemplar. Erst in dieser Pose kommt die Plauze zu ihrer vollen Geltung. Sie ist eine Trophäe, die du voller Stolz vor dir her tragen kannst, nein, musst!

Texte: Hannah König
Foto: Photo by Clem Onojeghuo on Unsplash

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