Schahrsad ›Prinzessin‹ Shahmirzadi ist mehrfache Weltmeisterin im Kickboxen. Wir sprechen darüber, was sie an dem Sport liebt, inwiefern Geschlechterrollen dieser Liebe im Weg stehen können und wie Kickboxing sie verändert hat.
Wie bist du auf das Kickboxen gekommen?
Mit 15 Jahren habe ich mit Selbstverteidigung begonnen und bin dann mit 16 zum Kickboxen gewechselt. Ich bin jetzt mit Leidenschaft seit 20 Jahren dabei. Meine Eltern und insbesondere mein Vater waren am Anfang sehr besorgt. Er hat sich gefragt, ob dieser Sport für Mädchen nicht zu gefährlich wäre. Du bekommst ja durchaus Schläge und Tritte ab. Aber ich habe sehr schnell gemerkt, dass dieser Sport genau mein Ding ist und ich liebe ihn mit all seinen Facetten. Heute sind meine Eltern natürlich sehr stolz auf mich.
Dein Vater hatte Angst, dass du dich verletzt?
Schon. Dabei besteht ja in den meisten Sportarten ein Verletzungsrisiko. Man sagt ja so schön: Sport ist Mord. Gleichzeitig sehen wir in allen Bereichen auch erfolgreiche Sportlerinnen.
Verletzen können sich Jungen wie Mädchen ja auch. Wurdest du zu Beginn oft damit konfrontiert, dass du ein Mädchen warst?
Wir haben verschiedene Rollenbilder in dieser Gesellschaft. Dadurch fehlen manchmal Informationen. Deshalb kann ich jedem nur raten, sich vielfältig auszuprobieren. Ohne Vorbilder weiß man vielleicht gar nicht, dass etwas das Richtige für einen wäre. Aber es gibt viele Kämpfe und Dokumentationen im Internet, sowie Sportlerinnen-Biografien. Wenn man beginnt, sich mit dem Thema zu beschäftigen merkt man auch, dass der Sport gar nicht so von Männern dominiert ist, wie viele denken. Kommt vorbei, schaut es euch an, macht mit! Das alles hilft, um Zweifel und Ängste zu überwinden.
Wir haben verschiedene Rollenbilder in dieser Gesellschaft. Dadurch fehlen manchmal Informationen.
Was Kickboxen verändert
Was hast du durch das Kickboxen gelernt?
Kickboxen schult Körper, Geist und Seele. Gerade im Leistungssport musst du bereit sein, an dir zu arbeiten und mit Niederlagen umzugehen. Dich nicht unterkriegen zu lassen. Dich trotz Niederlagen und Fehlurteilen weiter zu entwickeln. Früher oder später erreicht man seine Ziele dann auch – angenommen, es waren realistische Ziele, die man sich gesteckt hat.
Fühlst du dich heute sicherer als früher?
Der Sport hat mir viel gegeben. Durch das Training und die Fitness die man erlangt, entwickelt man eine ganz andere Haltung, mehr Selbstvertrauen. Genauso gegenseitigen Respekt, der steht in allen Kampfsportarten im Vordergrund. Natürlich halte ich mich nicht für die stärkste Frau der Welt – aber ich kann mein Können heute realistisch einschätzen. Allein für die Fitness und das Selbstvertrauen würde ich Kampfsport immer empfehlen.
Warum ist Kickboxen gut für das Selbstvertrauen – was verändert es?
Ich denke, weil dich das Training an deine Leistungsgrenzen führt und du deinen Körper so ganz anders kennen lernst. Hinzu kommt das Krafttraining. Liegestütze beispielsweise, wo dir plötzlich klar wird: Ich kann das mindestens so gut wie die anderen!
Durch das Training und die Fitness die man erlangt, entwickelt man eine ganz andere Haltung, mehr Selbstvertrauen. Genauso gegenseitigen Respekt, der steht in allen Kampfsportarten im Vordergrund.
Wissen, dass du deine Disziplin gefunden hast
Wie wird man Weltmeisterin?
Meine innere Stimme hat mir recht früh gesagt: Das ist deine Sportart. Das kannst du. Ich war dann sehr oft im Training, habe mich sehr für andere erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler interessiert, bin zu anderen Gyms und zu Kadertrainings gereist, habe andere Trainingsmethoden ausprobiert. Natürlich waren da Höhen und Tiefen, es hat lange gedauert bis ich das erste Mal Deutsche Meisterin und bis ich das erste mal Weltmeisterin geworden bin. Besonders dankbar bin ich meinem Team, dass mich jahrelang unterstützt und gefördert hat. So bin ich heute mehrfache Weltmeisterin verschiedener Verbände und amtierende Profi-Weltmeisterin der World Kickboxing and Karate Union (WKUWORLD). Bald wird auch die neue, internationale LeySha Fight Night an den Start gehen, bei der ich antreten werde.
Was gefällt dir so an diesem Sport?
Die vielseitigen Bewegungsabläufe, die Box- und Kicktechniken, die Grundausdauer, die verschiedenen Stile. Kein Kampf sieht gleich aus, niemand kämpft gleich, man muss sich innerhalb von Sekunden auf eine neue Situation einstellen. Durch die Wettkämpfe hat man eine echte Möglichkeit, sich mit Anderen zu messen. Und letztlich erfordert dieser Sport echte, geistige Reife.
Ich habe beim Training manchmal die Sorge gehört, dass Frauen Angst hatten, zu breit zu werden. Was denkst du dazu?
Natürlich werden manche Muskelgruppen durch das Kickboxen stärker beansprucht als andere. Aber das ist doch kein körperlicher Makel. Jeder und jede kann natürlich für sich entscheiden, was er oder sie für schön hält. Aber für mich wäre es nie in Frage gekommen wegen meiner muskulösen Arme oder Beine mit diesem Sport aufzuhören. Das wurde mir auch noch nie gespiegelt. Wenn man mir meine Liebe zum Kickboxen ansieht ist das vielleicht auch okay. Es ist ja auch gut, besonders zu sein.
Kommt vorbei, schaut es euch an, macht mit! Das alles hilft, um Zweifel und Ängste zu überwinden.
Was würdest du einer Leserin mitgeben wollen, die über Kickboxen noch nie nachgedacht hat?
Als Sportlerin würde ich auf jeden Fall empfehlen, Kickboxen oder eine andere Kampfsportart auszuprobieren, einen Kurs zu besuchen, da mal rein zu fühlen. Und einfach zu schauen, ob es Spaß macht.
Media
Hier könnt ihr euch die Kickboxing Basics anschaulich, zum Mitmachen und mit schwäbischem Akzent erklären lassen.
Schahrsad gegen Jessica “Sniper” Marazzi bei der WKU Fullcontact Worldchampionship 2016 – untermalt mit dramatischer Musik.
Auch Tiffany van Soest und Anissa Meksen zählen zu den derzeit besten Kickboxerinnen der westlichen Welt. Bei Glory 64 kämpften sie um den Weltmeisterinnentitel, bei Glory 71 gab es die Revanche.
Auf der Suche nach Vorbildern? Der Instagram-Account womenofkickboxing sammelt Bilder von Kickboxerinnen weltweit.
Autorin: Chiara Marquart-Tabel
Illustration: Isabella Marquart
Fotos: Wolfgang Gaudeck, Enrico Pella
Auch Teil dieser Interview-Reihe
Mehr in der transform No. 7!
Übung macht die – von Geschlechterrollen befreite – Meisterin. In der transform No. 7 stellen wir euch sieben Personen vor, die sich auf verschiedene und inspirierende Arten ihren Körper und ihren Raum zurück holen.
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