Vögel, Windkraft & Fridays for Future: Nabu-Präsident im Interview

Tacheles über Tesla in Grünheide, Vogeltod durch Windkraft oder Katzen und warum Fridays for Future und Extinction Rebellion den Nabu kaum verjüngen.

Das Bundesverfassungsgericht erweiterte den Freiheitsbegriff um Klimagerechtigkeit. Ließen Sie die Sektkorken knallen oder machen Sie das eher nach guten Ergebnissen bei den Vogelzählungen?

Ne, also das haben wir schon gefeiert. Denn von Karlsruhe geht ein klares Signal an die Politik aus: Weitermachen wie bisher ist nicht möglich. Eine gute Zukunft zu bauen, lässt sich nicht zukünftigen Generation überlassen. Und das geht über den Klimaschutz hinaus! Es geht um den Schwund primärer Ökosysteme, den Verlust gesunder Wälder und intakter Böden, um die Versauerung der Meere oder den kaputten Stickstoffkreislauf. Spannend ist jetzt die verfassungsrechtliche Weiterentwicklung.

Warum ist es bei diesen planetaren Grenzen schwieriger, Druck aufzubauen als beim Klima?

Gerichte und das Justizsystem brauchen Zeit. Klimaschutz ist im Vergleich „einfacher“. Die CO2-Konzentration vermittelt den Eindruck einer klaren Messbarkeit. Andere planetare Grenzen sind da schwieriger zu fassen. Außerdem gibt es beim Klima auch die Selbstbindung durch starke, internationale Abkommen.

Konflikte zwischen Klima– und Artenschutz, insbesondere Windräder beschäftigen den Nabu schon länger. Ist Land in Sicht?

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Wir brauchen den Ausbau der Erneuerbaren Energien – aber naturverträglich. Vieles hängt an der Standortwahl. Die Fehler, die man hier am Anfang macht, kann man durch nichts heilen. Wir haben uns angeschaut, bei welchen Flächen es ein geringes Natur- und Artenschutzrisiko gibt: Das sind immerhin zwei bis drei Prozent der Landfläche Deutschlands. Diese Menge ist laut Politik in etwa auch nötig für den Ausbau der Erneuerbaren. Viele Lebensräume von Tieren sind durch die Intensivierung der Landwirtschaft bereits am Limit. Windkraft kommt dann noch oben drauf.

Windkraft? Katzen und Glasscheiben sind tödlicher

Aber Ihre eigenen Zahlen belegen doch, dass Hauskatzen 20-100 Millionen, Glasscheiben 100-125 Millionen und Kollisionen im Straßen und Bahnverkehr etwa 70 Millionen Vögel platt machen. Durch Windkraftanlagen sterben wesentlich weniger Tiere: 100.000 Vögel.

Es geht nicht nur um Quantitäten. In absoluten Zahlen sind die Todesfälle an Windkraftanlagen deutlich weniger als die Opfer von Katzen und Glasscheiben. Allerdings verunglücken an Windrädern bevorzugt große Vogelarten, die nur sehr wenige Junge produzieren. Meisen können das mit über zehn Jungen pro Saison schnell wieder ausgleichen, Adler nicht. Nicht zu unterschätzen ist auch die Störwirkung der Anlagen: Gerade Arten offener Landschaften wie die bedrohten Wiesenbrüter Kiebitz, Uferschnepfe oder Brachvogel meiden Windräder großräumig und verlieren dadurch wichtigen Lebensraum.

Oft wurde „unhörbarer Lärm“, Infraschall, gegen Windkraft ins Feld geführt – gestützt auf eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe. Inzwischen ist klar, dass bei dieser ein Rechenfehler vorliegt. Hat das etwas beim NABU geändert?

Für uns war und ist Infraschall kein Thema. Hier haben wir keine Expertise. Unsere lokalen Gruppen arbeiten selbstständig zu Landwirtschaft und Artenvielfalt.

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Wie genau funktioniert dieses Zusammenspiel von selbstständigen Gruppen in der großen Struktur des Nabus?

Der 1899 gegründete Verband ist föderal organisiert und hat heute 820.000 Mitglieder und Fördernde – der größte Umweltschutzverband in Deutschland. In Berlin haben wir den Bundesverband, der sich um viele Aktionen und die bundespolitischen Aspekte des Naturschutzes kümmert. Unterhalb der Landesebene sind über 70.000 ehrenamtlich Aktive in rund 2000 Kreis- und Ortsgruppen engagiert. Manche dieser Gruppen sind bereits 100 bis 120 Jahre alt. Die Aktivitäten innerhalb dieser Gruppen sind sehr vielseitig. Das sind beispielsweise Heckenpflege, Diskussionsabende, Streuobstwiesenerhaltung, Schutz von Krötenwanderungen und vieles mehr – Naturschutz zum Anfassen. Oft sitzen Nabu-Aktive auch in Beiräten, Bauausschüssen und Planfeststellungsverfahren und sorgen dafür, dass beispielsweise umweltverträglich gebaut wird.

Eidechsen zählen oft verhasst, Mitbestimmung kaputt gespart

Nicht nur Autobahn-Fans, selbst Grün-Wähler:innen kritisierten die Nabu-Haltung zu Bauvorhaben, Rodung und Eidechsen, als es um die Tesla-Baustelle in Grünheide ging. Hat der Gegenwind zugenommen?

Bestimmte Schutzgüter wurden bei den Genehmigungen in Grünheide nicht geschützt. Es wurde dort gegen geltendes Recht verstoßen. Was die Autobahnen angeht: Wir sind ein dicht besiedeltes Land, immer mehr Bürger entwickeln einen kritischen Blick auf das Thema Verkehr und wollen sich in Planverfahren beteiligen. Das Problem dabei ist, dass die Verfahren immer komplexer werden. Zusätzlich sind Verwaltungen kaputtgespart und überfordert. Nicht umsonst stellte der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung schon 2007 fest, dass der Abbau der Fachbehörden und Umweltbehörden die Partizipationsverfahren schädigt. Dabei ist das alles machbar. Bei der Deutschen Bahn etwa gibt es einige Beispiele guter und partizipativer Planung. Ich persönlich reagiere allergisch, wenn es heißt „Wir müssen stärker durchregieren“. Nicht zuletzt de Aarhus-Konvention schützt und stärkt die Bürgerbeteiligung.

Wenn es so hoch her geht: Warum haben sich all die Fridays-for-Future- und vor allem die Extinction-Rebellion-Aktivist:innen nicht dem Nabu angeschlossen?

Das ist eine gute Frage. Das hängt wohl vor allem mit deren Charakter zusammen. Eine Bewegung wie Fridays-for-Future hat einen anderen Drive als eine Organisation, die seit 120 Jahren mit 2.000 Gruppen in einer komplexen Struktur arbeitet. Solche Bewegungen gab es ja schon früher, wie in den 1980ern, als es um das Waldsterben ging. Und ja: Diese Bewegungen sorgen für politischen Wandel. Dieser Wandel muss aber auch gefestigt werden. Und da kommen dann wir Verbände ins Spiel.

Und Extinction-Rebellion?

Die sind ja nicht so groß. Da gab es außerdem dieses sehr verunglückte Interview von dem Gründer zu Demokratie. Das geht natürlich gar nicht.

Abseits der politischen Mechanik des „Hand-in-Hands“ von Bewegungen und etablierten NGOs: Kennen die Mitglieder der Nabu-Ortsgruppen junge Aktivist:innen oder sind sie zu alt?

Rund ein Zehntel unserer Aktiven ist unter 35 Jahre alt. Deren Zahl stieg in den letzten beiden Jahren von 45.000 auf nun 70.000 an. Auch eine Folge der Volksbegehren für Artenschutz oder gegen das Bienensterben. Aber ja: Mehr als die Hälfte der Aktiven ist im mittleren Alter, wenn man so möchte, ein Abbild der deutschen Gesellschaft und damit im Schnitt vermutlich deutlich älter als die von Ihnen angesprochenen Aktivist:innen.

Zu wenig Politik zwischen Vögeln und Kröten?

Fehlt denn vielleicht bei all der Vogelbeobachtung noch mehr Politik?

Früher war der Nabu tatsächlich sehr unpolitisch. Das änderte sich in den 1980ern. Damals stießen sehr politische Nabu-Mitglieder und -Aktive dazu. Diese Entwicklung verstetigte sich durch die Abkommen: Rio, die Millenium-Development- und Sustainable-Development-Goals oder das Paris-Abkommen.

Die Aichi-Ziele, die Zielerklärungen für weltweiten Biodiversitätsschutz, haben Sie nicht genannt. Die kennt halt keiner. Woran liegt das?

Biologische Vielfalt und ihre Bedeutung für das Funktionieren unserer Ökosysteme ist schwer konkret zu fassen und erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick. Konkret wurde es aber zum Beispiel, als 2017 das Insektensterben im Mainstream der öffentlichen Diskussion landete. Ohne Bestäuber fällt die Hälfte unserer Nahrungsgrundlage weg. Bei den Diskussionen um eine ökologische Reform der Landwirtschaft spielt Biodiversität inzwischen eine wichtige Rolle. Bei anderen Themen geht das jetzt erst los. Jetzt schon haben wir viele Maßnahmen auf dem Tisch: Biodiversitätsstrategien, Schutzgebiete, Landnutzungssysteme.

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Auf einer Skala von „für Ökosystemdienstleistungen zahlen“ bis hin zu „Zaun drum und schützen“, welche Maßnahmen sind denn nun am effektivsten?

Wie viel Ordnungsrecht und wie viel Markt? Bestenfalls gehen die Maßnahmen Hand in Hand. Man braucht Ordnungsrecht, um das Schutzgebiet auszuweisen. Man braucht Marktmechanismen, um es zu finanzieren. Aus heutiger Sicht ist das Ordnungsrecht über die Jahre zu wenig weiterentwickelt worden.

Wo steht der Nabu in 20 Jahren bei all diesen Maßnahmen und Zielen?

Wir sind die „Naturschutzmacher:innen“. Der Nabu wird hoffentlich immer für eine aktive Auseinandersetzung mit der Natur begeistern und Menschen auch zum Anpacken motivieren. Die vielen Arbeitseinsätze draußen bleiben wichtig. Zudem schützen wir Arten durch Lobbyarbeit und Entwicklung von Konzepten. Der Blick nach vorne deutet darauf hin, dass es mehr Kooperationen geben wird, bei denen Partner ihre Kräfte für die Sache bündeln.

Neu Bündnisse für den Artenschutz

Sie waren zwischenzeitlich beim WWF. Kommen jetzt Unternehmenskooperationen mit dem Nabu?

Nein, wir sind und bleiben da sehr vorsichtig und vergeben sehr selten unser Logo. Der WWF hat da mit den Studien und Themen wie Lieferketten einen anderen Ansatz. Mir geht es zum Beispiel um Akteure aus der Landwirtschaft.

Der Nabu und der Bauernverband? Dann sind die gerade gewonnenen Aktivist:innen aber wieder weg.

Ich glaube nicht, dass diese Freund-Feind-Linien wirklich so trennscharf sind. Die Frage ist doch, wie sehr zählen die Grundsätze, wie viel die Ergebnisorientierung. Wenn ich in der Sache zu guten Ergebnissen komme, dann lohnen sich solche Kooperationen. Wir wissen alle, dass Selbstverpflichtungen nichts taugen. Es muss konkret werden. Aktuell analysieren wir als Beispiel in einem gemeinsamen Forschungsprojekt die finanziellen Kosten und den biologischen Nutzen von Blühstreifen oder Hecken am Wegesrand. Dabei kam schnell heraus, dass Nabu und Landwirt gar nicht weit auseinanderliegen.


Transparenzhinweis: Der Autor Marius Hasenheit war als Teil eines sustainable-native-Projektteams 2019 an einer Nachhaltigkeitsmanagement-Prüfung des Nabus beteiligt. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Audit und diesem Interview.

Autor: Marius Hasenheit
Foto: Nabu, angepasst von Peter Gericke

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